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Versuch

AIbert Kramers Eisenplastiken zu charakterisieren
«Tote Materie zum Leben erwecken»

Das ist unmöglich, niemand kann das! Oder vielleicht doch? Was der ärztlichen Kunst nicht gelingt und nie gelingen wird, bleibt der bildenden Kunst vorbehalten, nämlich dann, wenn es der Künstler fertig bringt, mit seinen Werken im Betrachter die Illusion auszulösen, er stehe vor einem lebendigen Wesen oder einem Wesen, das leben könnte in der Form, in der es ihm erscheint. Anders ausgedrückt: Der Funke muss überspringen vom Künstler zum Betrachter. Aus der Sicht des Betrachters: Er muss spüren, dass auch aus zusammen geschweissten rostigen Eisenteilen Leben ausströmen kann.

Der Berliner Kunsthistoriker Dr. Dietrich Gronau kommt in seinem Bericht über eine Ausstellung Albert Kramers in der Galerie Maag in Löhningen unter dem Titel.
«Metallene Objekte» zu einer analogen Feststellung. «Er schliesst sich mit diesen» (von überall her zusammengetragenen, Anmerkung des Verfassers) «metallenen Objekten in seiner Werkstatt ein, und nach längerer oder kürzerer Zeit hat er aus dem leblosen Material etwas höchst Lebendiges geschaffen: einen geflügelten Drachen, einen sitzenden Hasen, einen neugierig Ausschau haltenden Hund. Sieht man näher hin, dann entdeckt man überrascht hier einen weissen Melkkompressor als Bauch, dort einen Propellerflügel als Ohr, einePflugschar als Schädeldecke. Der Beschauer wird in seiner Phantasie hin- und hergerissen, denn einmal erkennt er das ehemalige Nutzobjekt und zum andern nur noch den Teil eines seltsamen Fabelwesens, das ihm doch irgendwie vertraut ist.»

Dieses Zitat enthält in verständlicher Form einige ganz wesentliche Merkmale von Albert Kramers Werken und erklärt auch deren durchschlagenden Erfolg. Der Künstler sagt selber: «Für meine Eisenplastiken und Reliefs verwende ich hauptsächlich Eisenteile aus der Landwirtschaft. Sie sind für mich liebe Vertraute, die mir grösstenteils bei meiner Arbeit gedient haben. Meine Verbundenheit zu diesen inspirierte mich, dieses wertlos gewordene Material neu zu gestalten. Jedes der einzelnen Teile kann eine Geschichte erzählen über 'seine Vergangenheit. Den daraus entstehenden Werken Sinn und Seele zu geben, gibt mir einen Lebensinhalt, der sich zur eigenen Freude und zur Freude vieler Mitmenschen auswirkt.» Ein weiteres Zitat, das in die gleiche Richtung weist: «Wenn ich sehe, dass die Leute, einfache und anspruchsvollere, Freude haben an den Figuren, dann ist auch mein Ziel erreicht.» Freude erwecken in sich selber und beim Betrachter seiner Werke, genügt das, wenn man als Künstler ernst genommen werden möchte? Eine rhetorische Frage. Doch damit allein gibt sich Albert Kramer auch nicht zufrieden. «Ich hasse Halbheiten. Wenn ich schon etwas erreichen will, dann muss ich wissen, dass ich auf dem richtigen Weg bin.» Wer liefert nun aber diese Bestätigung, wenn nicht der kritische Betrachter oder der Kunstsachverständige? Wie bereits im Vorwort erwähnt, ist das in all den Ausstellungskritiken bereits vielfach geschehen. Da attestiert ihm - um ein weiteres Beispiel zu nennen - Christoph Ammann in den Schaffhauser Nachrichten vom 7.5.81 «natürliche künstlerische Begabung, unerschöpflichen Ideenreichtum>? und «handwerkliches Geschick», aber auch «die Spuren des feinsinnigen Humors, der den Marthaler Landwirt auszeichnet» könne man entdecken und seinen «angeborenen Sinn für das Schöne und Feine». Im gleichen Artikel wird er gar als «Zauberer» dargestellt, «der aus totem Alteisen lebendige Wundergeschöpfe zu formen versteht».

Wenn wir im ausgehenden 20. Jahrhundert Wörter wie «Zauberer» oder «Wundergeschöpfe» verwenden, so meinen wir damit Menschen, die mehr können als alle andern, welche Dinge herstellen, die wir nicht fertig bringen und deren Entstehung wir nicht nachvollziehen können, oder die uns mit ihrer Geschicklichkeit Illusionen vorgaukeln, die wir nicht erklären können. Bei Albert Kramers Kreationen kann man jedoch klar erkennen, woraus und wie sie entstanden sind, um so mehr, als er so wenig wie möglich verformt und lieber lange nach einem fehlenden Teil sucht, als ihn selber zu schmieden. Die Zauber- oder Wunderwirkung die von seinen Geschöpfen ausgeht, muss also einen anderen Ursprung haben als den der kompositorischen Virtuosität, die zwar sein ganzes Schaffen durchzieht und so zu einem Markenzeichen seiner Arbeiten geworden ist. Bewunderung könnte auch eine besonders saubere und raffinierte Verarbeitung auslösen. Doch gerade das ist nicht Albert Kramers Anliegen. Bescheiden gesteht er: «Handwerklich bin ich nur mittelmässig begabt. Wenn mir ein Fachmann beim Schweissen zusieht, grinst er. Aber das stört mich nicht. Für mich sind andere Kriterien wichtiger.» Damit relativiert er selber das ihm zugeschriebene «handwerkliche Geschick» und weckt gleichzeitig meine Neugierde, nach diesen «anderen Kriterien» zu suchen. Denn sie müssen es sein, die ihm den Beinamen «Tinguely von Marthalen» eingetragen haben.

Beim Betrachten von Albert Kramers Fabelwesen drängt sich beinahe zwangsläufig die Frage auf - sie ist ihm tatsächlich (wohl mehrmals schon) gestellt worden -, ob das vorhandene Material seine Schöpfungen bestimme oder ob die Vorstellung von dem, was er machen wolle, am Anfang stehe. Anders gefragt: Steht am Anfang eine vage Idee, die mit der Zeit immer konkretere Formen annimmt, oder geht die Inspiration direkt vom zufällig entdeckten oder bewusst beobachteten Einzelteil aus? Die Antwort, die ich dem Bericht von Dr. Walter Helg in der Frauenfelder Zeitung vom 18.6.87 entnehme, ist für mich nicht eindeutig. «Im Grunde lenken ihn die unablässig auf ihn einstürmen- den Visionen: ein Kühlschrankelement wird dann zur Handorgel, der Oeltank eines Töffs zum Tierleib, Nägel zu Augen, Messer einer Mähmaschine zur Flosse eines Meerungeheuers - es gibt da überhaupt kein angerostetes Stück, das für einen originellen Einfall nicht noch gut wäre.» Die Frage nach der Reihenfolge oder der Gewichtung dessen, was dann schliesslich die Inspiration auslöst, ist im Grunde genau so müssig wie die nach dem Huhn und dem Ei. Sicher ist, dass jemand, der so ausgefallene und witzige Figuren kreiert, in
aussergewöhnlichem Masse fantasiebegabt sein muss - wie ein Kind eben. Der Künstler «soll ein wenig ein Kind bleiben dürfen», davon ist auch Albert Kramer überzeugt. Doch erst mit der Fähigkeit zu genauer vermag die kindliche Fantasie in einem Schrottstück zu erkennen, was es alles darstellen könnte oder mit welchen anderen Elementen man es kombinieren kann. Darin scheint mir das Geheimnis des «Zauberers» Kramer zu liegen. Seine skurrilen Gebilde umschwirren ihn, vorerst als luftige Traumgebilde, nehmen dann aber immer konkretere Formen an, und zwar in dem Masse, als er Teile entdeckt, mit denen er sie umsetzen kann. Dem fantasiebegabten und naturverbundenen Beobachter bleibt auch der umgekehrte Weg offen: Er kann die vielfältigsten Verwendungsmöglichkeiten gewissermassen im Vorbeigehen aufnehmen, speichern und abrufen, sobald eine Idee für die Gestaltung reif ist.

Krabbeltier

Mit diesem Versuch, den Inspirationsquellen von Albert Kramers Werken auf die Spur zu kommen, ist es mir vielleicht gelungen, ihre Originalität und die spontane Wirkung, die sie auf den Betrachter ausüben, zu. erklären. Seine Fabelwesen, seine Reliefs und auch die freien Kompositionen sind jedoch nicht allein auf
Überraschungseffekt und Kurzzeitwirkung ausgerichtet. Die Faszination, die von ihnen ausgeht, ist umfassender. Sie drücken ein Lebensgefühl aus, oder wie der Künstler es selber formuliert: «Meine Fabeltiere aus Alteisen zusammengefügt sind Ausdruck eines inneren Gefühls.» Hinter ihnen steckt eine Philosophie mit einer klaren Werteskala. Leben, Natur und Harmonie stehen bei Albert Kramer ganz oben. Ausgewogen wirken alle seine Arbeiten - auch die ungegenständlichen - und entsprechen somit einem Streben nach Harmonie, das wir alle in uns tragen, bewusst oder unbewusst. Leben und Natur kommen in besonderem Masse in seinen figürlichen Werken zum Ausdruck, Masse in seinen figürlichen Werken zum Ausdruck, welche nicht von ungefähr die intensivste Wirkung ausüben. Prof. Peter Peisl hat den Marthaler Eisenplastiker in seiner Vernissagerede anlässlich der Ausstellung in der Galerie am Dorfplatz in Winterthur- Veltheim mit folgenden Worten charakterisiert: «Wir haben in Albert Kramer eine wahre Künstlernatur, einen naturliebenden, träumerisch-phantasievollen Menschen mit einer liebevollen Hinwendung zu allem Kreatürlichen, darum sprechen uns seine Werke so an.» Treffender kann man es kaum formulieren. Der sensible Betrachter spürt diese «liebevolle Hinwendung» und bringt sie spontan und unbewusst in Übereinstimmung mit seinem eigenen Bedürfnis nach Verständnis und Zuwendung, die er selber erfahren, aber auch weiter geben möchte.

Vom Humor als einem wichtigen Charakteristikum, den Albert Kramers Figuren ausstrahlen, war bereits die Rede. Der Schalk, mit dem seine Tiere uns zublinzeln, hängt wohl mit der Spielfreude des Künstlers zusammen, welche ihre Erklärung in seiner kindlich gebliebenen Seele findet. Sie scheint eine wesentliche Voraussetzung zu sein für einen Künstler, welcher weniger die intellektuelle als vielmehr die emotionale Ebene des Betrachters seiner Werke ansprechen will. Mit einem berühmten Beispiel dazu möchte ich meine Betrachtungen über Albert Kramer abschliessen. Octavio Paz, einer der bekanntesten mexikanischen Schriftsteller dieses Jahrhunderts versucht den nachhaltig weltweiten Erfolg des spanischen Malers Juan Miro mit folgenden Worten zu erklären: «Irgend jemand hat einmal gesagt, das Kind sei der Vater des Menschen. Die Kunst von Miro bestätigt diesen Gedanken. Ich muss hinzufügen, dass Miro gemalt hat wie ein Kind, das fünftausend Jahre gelebt hat. Eine Kunst wie die seinige ist die Frucht einer viele Jahrhunderte dauernden Zivilisation, und sie tritt dann in Erscheinung, wenn die Menschen müde geworden sind, immer wieder hin und her zu überlegen, welche Idole wohl die richtigen seien, und sich entscheiden, an den Ursprung zurückzukehren.»

Bei aller Experimentierfreude ist auch Albert Kramer nicht denjenigen Künstlern zuzuordnen, welche in
marktschreierischer Manier die Welt verändern wollen, sondern denen, die mit Respekt vor jahrtausendealten Traditionen ihren Platz suchen und auch finden,

Dr. Ernst Härtner Marthalen